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Siezt Du noch oder Duzen Sie schon?

Immer mal wieder stellt sich mir die Frage „Ist das ein/e Sie oder schon ein Du?“. Kleine Worte, deren Unterscheidung uns von der Nähe eines lieben Freundes zum städtischen Finanzbeamten katapultiert. Sie entscheidet über Nähe und Ferne, lässt Raum für Interpretationen und sorgt hier und da für Verwunderung.

 

Buche ich für meinen Sohn einen Boulder-Workshop und fange dabei an, mein Gegenüber zu siezen, dann bin ich die spießige Alte. Duze ich einfach die Sekretärin der Steuerberatungskanzlei, gelte ich schnell als respekt- und distanzlos.

 

Welche Anrede wählt man also? Meistens trifft man diese Entscheidung ja auch unter einem gewissen Zeitdruck. Man betritt ein Geschäft oder trifft jemanden, den man vom Sehen kennt und zack, ist es da. Das ungute Gefühl, nicht zu wissen, wie man denjenigen richtig anspricht. Eine Mischung aus kollektivem Wissen um Du- und Sie-Stereotype, mein eigenes Gefühl und ein Stück empathisches „Abklopfen“ des Gegenübers führen dann bei mir zu einer Spontanentscheidung, mit der ich mich manchmal mehr, manchmal weniger wohlfühle.

 

Es sind nicht nur zwei kleine Personalpronomen. Sie sind mehr, als das. Duzt oder siezt mich jemand, transportiert das sowohl eine Einschätzung über mich, als auch unser Verhältnis und spiegelt dabei die innere Einstellung des Sprechers wider. Und zeigt nebenbei seine (Un-)Fähigkeit, die richtige Entscheidung über die richtige Ansprache zu treffen.

 

Siezt uns jemand, hat er vielleicht einmal die einfache Entscheidungsregel gelernt „Kenne ich = Du, kenne ich nicht = Sie“. Hab´ ich auch gelernt. Man verbindet mit einem Sie aber auch Respekt (manchmal auch vor dem Alter oder der Stellung des anderen), manchmal auch eine Nichtzugehörigkeit zu einem bestimmt „Inner Circle“. Ein Du machz ratzfatz alle gleich, sorgt für ein familiäres und unmittelbares Ambiente, manchmal aber auch für ein bisschen Distanzlosigkeit.

 

Im angelsächsischen Sprachraum gibt es diese Unterscheidung nicht. Dort empfinde ich das einheitliche „you“ auch als sehr wohltuend. Kein Firlefanz, keine Beurteilung. Einfach nur you. Es macht uns ja auch alle irgendwie gleich. Aber hier bei uns, da müssen wir uns entscheiden. Es ist ein Trend, jeden zu duzen. Manchmal finde ich das richtig gut, manchmal stört es mich. Genau wie diese Frage nach Du oder Sie, bin auch ich da sehr indifferent. Und muss mich trotzdem immer wieder neu entscheiden.

 

Die Regel „Kenne ich = Du, kenne ich nicht = Sie“ reicht dabei heute nicht mehr aus. Es erfordert Fingerspitzengefühl und ein bisschen Glück, diese Entscheidung situationsabhängig „richtig“ zu treffen.

 

 

 

PS: Die Entscheidung, Sie als Interessierte, als (potentielle) Kunden auf meiner Website zu Siezen war keine spontane, sondern eine wohl überlegte. Wenn Sie meine Seite besuchen, dann kennen wir uns meist noch nicht. Wir bleiben mit dem Sie auf einer neutralen, offenen Ebene. Viele meiner Kunden duze ich, mit einigen bleibe ich beim Sie. Das ergibt sich einfach im Verlauf der Zusammenarbeit so oder so. Ich fühle mich mit beidem wohl. Und hoffe, Sie sich und Ihr Euch auch.