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Ist "nice" das neue It-Piece?

Sprache sei die Kleidung der Gedanken, meinte der Sprachforscher Samuel Johnson.

 

Doch was haben Klamotten und unsere Sprache gemeinsam? Vielleicht mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

 

Ist Sprache wie Kleidung? Und wenn ja, ist sie die Kleidung unserer Gedanken? In welche Worte verpacke ich, was ich denke? Und warum? Fragen über Fragen.

 

Fangen wir mal von vorne an: sowohl mit unserer Kleidung als auch mit unserer Sprache zeigen wir, was uns wichtig ist und wer wir sind. Zumindest ein stückweit.

 

Beide geben sicherlich keine abschließenden und erschöpfenden Antworten auf grundlegende Persönlichkeitsfragen, aber sie können uns Hinweise auf unser Gegenüber geben.

 

WER BIN ICH? 

Nicht jeder weiß zu jedem Zeitpunkt seines Lebens, wer genau er eigentlich ist und wie genau er sich eigentlich fühlt. Mit Kleidung zeigen wir nach außen, wer wir (gerade) sind und/oder wie wir uns gerade fühlen. Den einen ist es besonders wichtig über die Wahl der Kleidung zu zeigen, wer sie sind, den anderen liegt nicht so viel daran. Aber auch damit sagt man etwas aus (z.B. "Mir egal, was ich anziehe!").

Auch durch meine Sprache zeige ich, wer ich bin. Und egal, ob jemand authentisch kommuniziert oder gerade die Wahrheit nach allen Regeln der Kunst frisiert: er kleidet damit seine Gedanken. Der Gedanke "Ich hab da keine tollen Referenzen vorzuweisen, also schmücke ich die Realität aus" ist vielleicht sowas wie die Shaping-Wear der Sprache. Schön ist beides nicht, aber manchmal doch aufschlussreich.

 

WAS PASST ZU MIR?

Es passt nicht zu mir, in jedem zweiten Satz "ey Alter" zu sagen. Zu einem Teenager temporär eben schon. Genauso wenig sehe ich mich in Peep Toes, meiner besten Freundin stehen sie aber prima.

 

BIN ICH EN VOGUE?

Es gibt fashion victims, die jedem Trend hinterherlaufen, ganz gleich, ob sie das neue Teil brauchen oder es ihnen steht. Ich finde, sowas gibt es nicht nur in der Mode, sondern auch in der Sprache. Ich nenne diese Spezies liebevoll tongue vicitms. Sie sind ständig

"im Call" während andere einfach "telefonieren". Ihr Urlaub war "wirklich nice", während andere es einfach schön hatten. Sie "recherchieren" (nicht etwa in der Staatsbibliothek oder in Recherchenetzwerken), wenn sie die Öffnungszeiten des Restaurants googeln. Und sie sind morgen leider nicht im "Office", sondern arbeiten an ihrer "Work-Life-Balance".

 

In der Mode verändert ein kleines neues Accessoire manchmal das komplette Outfit, ein "What?" statt "Was?" nach jedem zweiten Satz die komplette Wahrnehmung der Person und ihrer Sprache. Wir kommunizieren nicht nur durch den Inhalt, sondern eben auch durch die Wahl der Worte.

 

GEHÖRE ICH DAZU?

Sprache wirkt in hohem Maße integrativ. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass man sich durch Sprache auch von anderen abgrenzt. Manch eine Sprache lässt sofort die Zugehörigkeit zu einer bestimmten social bubble erkennen. Es ist dann die Wortwahl, die uns zeigt, dass der Mensch dieser einen Gruppe angehört. Dass man deren Überzeugungen und damit letztlich Gedanken teilt.

Mit Kleidung verhält es sich genauso, das wissen wir alle. Als Teenager waren wir auf der Suche danach, wer wir sind, welche Klamotten wir tragen wollen um wo dazu zu gehören. Und wir waren auch sprachlich sehr wandelbar. Heute "ey Alder", "chill Deine Base", "des bugt" und morgen "das ist ja voll o.p.".

 

WIE SEHE ICH MICH SELBST? WIE WILL ICH, DASS ANDERE MICH SEHEN?

Im angenehmsten Fall bin ich ich und mache mir gar keine Gedanken darüber, wie mich andere sehen. Weil ich einfach ich bin. Aber nicht immer und überall ist man eins mit sich, seinen Gedanken und seinen Gefühlen. Da fängt es dann auch an, umständlich zu werden. Wenn man findet, man hat keine ansehnlichen Beine und diese verstecken möchte. Dann dient der Maxi-Rock dem Kaschieren der eigenen Unsicherheit. Genauso ist das ja auch mit der Sprache: oft sollen hohle Phrasen und leere Worthülsen inhaltliche Leere kaschieren. Sprache und Kleidung können also eins sein mit dem, was wir sind. Aber sie können auch Dinge verstecken, die man nicht offen zeigen möchte. In beiden Fällen spiegeln sie aber unseren Gedanken wieder.

 

Aber Achtung: das funktioniert nur in eine Richtung! Für den Wissenden ist der lange Rock ein schönes Versteck für die komplexbehafteten Beine, für den Außenstehenden einfach ein langer Sommerrock der modischen Geschmack beweist. Dasselbe gilt in der Sprache: möchte ein Freund nicht mit uns an den Badesee, so interpretieren wir das vielleicht als Ablehnung. Den realen Grund erfahren wir aber nur, wenn wir fragen.

 

BÄUMCHEN WECHSEL DICH?

Gefällt mir nicht (mehr)? Ist mir zu unbequem? Passt nicht mehr zum Job? Kleidung ist leichter zu wechseln, als sich sprachliche Angewohnheiten abzugewöhnen. Aber es ist möglich. Wenn man es denn will. Oft passiert das aber auch ganz unbewusst, dass wir Worte, Sätze oder bestimmte Ausdrücke übernehmen, verwenden und wieder ablegen. Das ist mit Kleidung auch manchmal so.

 

Abschließend würde ich sagen, Sprache ist wirklich die Kleidung der Gedanken. Und auch der Gefühle. Manchmal sind wir uns dessen bewusst, manchmal nicht. Manchmal treffen wir bewusste Entscheidungen, manchmal unbewusste. Wir können, wenn wir aufmerksam sind unser Inneres bewusst nach Außen tragen. In Form unserer ganz individuellen Sprache. In Form unseres ganz individuellen Kleidungsstils.

 

Am Ende wissen nur wir, welcher Gedanke, welches Gefühl einer Entscheidung zugrunde liegt. Von außen hingegen kann kein eindeutiger Rückschluss stattfinden. Darum sollten wir uns hüten vor jedem "der sagt das doch nur, weil"  oder "die trägt das doch nur, weil".

 

Denn wenn wir ehrlich sind, können wir das gar nicht wissen.

Zum Glück.

 

 

 

SCHLUSSBEMERKUNG: Natürlich könnte man jeden einzelnen Punkt noch viel differenzierter betrachten, sich soziale, kulturelle und individuelle Einflüsse und Unterschiede ansehen. Allerdings wäre das dann eher eine Art wissenschaftliche Betrachtung und sprengt damit den Rahmen eines Blog-Eintrags. Dieser Beitrag soll eher ein Denkanstoß sein. Etwas, worüber man nachdenkt. Sich selbst beobachtet. Vielleicht Details in der Sprache der anderen entdeckt. Viel Freude dabei!

 

 Photo by Jonathan Borba on Unsplash